Aufnahmestopp für Migranten?
In Unkenntnis der Entscheidungsprozesse, die die Essener Tafel dazu bewogen haben, Berechtigungskarten zur Lebensmittelabholung vorläufig nur noch an Deutsche auszugeben, ist eine Stellungnahme zu dieser fragwürdigen Maßnahme schwierig, aber notwendig.
Um die Diskrepanz zwischen verteilbarer Warenmenge und der immensen Nachfrage danach auszugleichen, geht die Bonner Tafel andere Wege. Unter anderem sieht die Vergabepraxis unseres Vereins eine Befristung der ausgestellten Berechtigungskarten zur Abholung vor, sodass jedes Jahr eine dreistellige Zahl von Haushalten neu in das Verteilungssystem aufgenommen werden kann. Die Möglichkeit zum Lebensmittelbezug erhalten dabei in erster Linie Alleinerziehende, Familien mit Kindern und alte oder kranke Menschen.
Da auf den Berechtigungskarten der Tag, das Zeitfenster zur Abholung und die Reihenfolge beim Empfang der Lebensmittel genau festgelegt sind, können wir Situationen vermeiden, in denen um die besten Plätze „gerangelt“ werden muss und der Stärkere den Schwächeren verdrängt.
Die sorgfältige Sichtung und Kalkulation der verteilbaren Lebensmittelspenden an den Abholnachmittagen macht es möglich, dass auch jene, die zum Schluss kommen, mengenmäßig das Gleiche erhalten wie diejenigen, die zu Beginn bedient werden.
Transparenz sichern wir mit Hilfe eines Informationsblattes, das jeden Neukunden mit der Arbeitsweise der Bonner Tafel und den Regularien zur Abholung vertraut macht.
Mit Hilfe dieser und weiterer Maßnahmen gelingt es uns, Menschen unabhängig von ihrer Herkunft in den Genuss unserer Dienstleistung zu bringen, ohne dass Bevöl-kerungsgruppen gegeneinander ausgespielt werden müssen.
Die mediale Aufmerksamkeit, die der Tafelbewegung in Deutschland momentan zuteilwird, ist enorm und der zweifelhaften Vergabepraxis der Essener Tafel geschuldet. Von allen Seiten hagelt es Kritik.
Wenn mit der gleichen Vehemenz auf politischer Ebene um Konzepte gerungen würde, die sozial Benachteiligten eine wirkliche Verbesserung ihrer Lebenssituation bescheren, dann wäre viel gewonnen. Und die 934 Tafeln wären überflüssig.
Marianne Baldus
Tafeln in der Kritik
Am Beispiel der Tafel in Köln-Kalk beschreibt der Artikel „Zwischen Armut und Überfluss“ im GA vom 20.2.2018, S. 26 in weiten Teilen zutreffend die Arbeitsabläufe bei den Tafeln Deutschland, die sich der Weitergabe von überschüssigen Lebensmitteln an sozial Bedürftige verschrieben haben.
Stets dabei: die Kritik, die sich in der Person des Soziologen Stefan Selke manifestiert. So prangert er das Entstehen einer neuen Armutsökonomie an, die zur Verfestigung von Armut beitrage und den Druck auf die Politik zu deren nachhaltigen Bekämpfung mindere. Tafeln trügen dazu bei, die Kluft zwischen Gebenden und Nehmenden zu verschärfen und böten eine Plattform, in der sich die Mildtätigen feiern und die Empfänger zu Menschen zweiter Klasse degradieren
Wie der Bundesverband „Tafel Deutschland“ weist auch die Bonner Tafel diese Kritik entschieden zurück. Nach unserem Selbstverständnis ist das freiwillige Engagement der Helfer ein Akt der Nächstenliebe und damit Ausdruck des sozialen Miteinanders in einer Gesellschaft. Wollte man der Argumentation von S. Selke folgen, so müssten alle auf diesem Feld tätigen Organisationen mit dem Verweis auf den alleine zuständigen Staat, ihre Arbeit einstellen.
Unsere ehrenamtlichen 110 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber übernehmen soziale Verantwortung und verbinden mit ihrem Tun zwei Zielsetzungen: Sie wirken der Wegwerfmentalität in unserer Gesellschaft entgegen und machen den Lebensmittelüberschuss denjenigen zugänglich, die sich in prekären Lebenslagen befinden. Was daran verwerflich sein soll, bleibt Selkes Geheimnis.
Februar 2018, Marianne Baldus